13.1.2020 – Thriller-Autor Horst Eckert zu „Im Namen der Lüge“
(der Text ist für Pressezwecke frei)

„Im Namen der Lüge“ ist Ihr sechzehnter Roman. Worum geht es in Ihrem neuen Buch?

Ein Politiker spannt den Verfassungsschutz für ein krummes Ding ein, doch die Geister, die er ruft, wenden sich auch gegen ihn. Ein Mordfall ruft meinen Hauptkommissar Vincent Veih auf den Plan, aber auch eine Referentin des Inlandsgeheimdienstes, Melia Khalid, die mitbekommt, dass in ihrer eigenen Behörde etwas aus dem Ruder läuft. Sie ist neu in meinem Figurenkosmos und trägt den wichtigsten Teil der Handlung.

Die Protagonistin Melia Khalid ist eine starke Frauenfigur, die für den Ehrgeiz und die Tatkraft des Verfassungsschutzes steht. Ist diese Figur frei erfunden oder basiert sie auf einem realen Vorbild?

Ich habe sie wie jede Figur in diesem Thriller frei erfunden, wobei am Anfang die Überlegung stand, den Verfassungsschutz nicht eindimensional als eine Ansammlung von ewig Gestrigen oder eiskalten Bürokraten darzustellen. Klar, Melia wendet finstere Methoden an, das erklärt sie uns gleich zu Beginn. Aber sie tut das aus hehren Motiven, denn von ihrer Mutter, die aus Somalia stammt, weiß sie, was es heißt, in einem Land ohne Freiheit zu leben. Melia ist eine junge Frau mit dunkler Hautfarbe, was sie zur Außenseiterin macht, gerade auch innerhalb des Geheimdienstes. Und sie geht Konflikten nicht aus dem Weg. Sie glaubt zu wissen, was sie will, aber im Lauf der Geschichte wandeln sich ihre Ziele.

Für Ihre Thriller arbeiten Sie sich tief in politische Missstände ein. Sehen Sie das Schreiben als eine Möglichkeit, um auf die Probleme in Deutschland aufmerksam zu machen?

Ja, warum nicht? Früher habe ich mal gesagt, ich will nur unterhalten. Aber niemand, der schreibt, kann so tun, als arbeite er losgelöst von unserer Gesellschaft. Jede Fiktion, gerade im Krimigenre, bezieht sich auf das reale Leben. Sie kann Probleme leugnen, beschönigen oder kritisch aufgreifen. Jeder Autor trifft eine Entscheidung. Ich finde, ein Buch ist ein Fenster zur Welt. Ein guter Politthriller verschafft nicht nur ein paar Stunden spannender Unterhaltung, sondern regt auch zum Nachdenken an. Daran arbeite ich.

Der deutsche Geheimdienst – nicht das erste Mal Thema Ihrer Thriller. Weshalb ist er ein Thema, auf das Sie wieder zurückkommen?

Nach meinem NSU-Krimi „Wolfsspinne“ wusste ich, dass das Thema bei weitem nicht erschöpft ist. Nicht nur wegen der vielen offenen Fragen rund um den NSU, sondern weil ständig neue Nazis immer dreister auftreten. Und dann wird bei Kassel der Lokalpolitiker Walter Lübcke ermordet, und wieder behauptet der Verfassungsschutz, den rechtsradikalen Täter nicht auf dem Schirm gehabt zu haben – was sich übrigens als Lüge herausgestellt hat. Wenn mich beim Schreiben die Wirklichkeit einholt, dann weiß ich, einen Nerv getroffen zu haben. Und mit Melia schildere ich den Inlandsgeheimdienst von innen heraus, das ist neu.

Als Beobachter der NSU-Prozesse bekamen wir Einblicke in die Abläufe des Verfassungsschutzes. Als Leser Ihres Thrillers sehen wir diesen aus der Innenperspektive und erleben seine Dysfunktionalität. Glauben Sie an die Zukunft des Verfassungsschutzes, so wie wir ihn kennen?

Verfassungsschutz klingt erst einmal positiv, der Name ist großartiges Marketing. Aber in der Praxis fallen Geheimdienste vor allem durch Skandale auf. Ihnen fehlt von Natur aus die Transparenz, also lassen sich nicht demokratisch kontrollieren. Wir schützen die Verfassung besser ohne sie, davon bin ich überzeugt.

Ihre Thriller sind komplex und vielschichtig. Wie behalten Sie den Überblick über alle Details?

Durch sorgfältige Arbeit. Ich entwerfe Lebensläufe der wichtigsten Figuren und skizziere vorab die einzelnen Handlungsstränge. Und ich überprüfe immer wieder das bereits Geschriebene.  Vieles spielt sich im Kopf ab. Das ist geistiges Jonglieren, mit Ideen statt mit Bällen. Ich lebe mit Melia und Vincent und denke an sie nicht nur, wenn ich am Schreibtisch sitze.

In Ihrem Buch findet man sämtliche politische Überzeugungen, von Reichsbürgern bis zum antifaschistischen Widerstand. Wie gestaltet sich eine solche Recherche?

Zum Glück muss ich nicht unter Reichsbürgern leben, um über sie zu schreiben, denn es gibt genug Reportagen und Berichte in den Medien und im Internet, an denen ich mir ein Bild machen kann. Die linke Seite und ihre Sekten kenne ich aus meiner Studentenzeit. Neben der Recherche ist auch das Einfühlungsvermögen wichtig. Nichts von mir persönlich steckt in meinen Figuren, aber ich muss mich in jede von ihnen und in all ihre Lebenslagen hineinversetzen können.

Was halten Sie von Verschwörungstheorien – Spinnerei, Inspirationsquellen oder verkannte Wahrheit?

(Lacht.) Ich liebe Verschwörungstheorien! Nehmen Sie „Die sechs Tage des Condor“ von James Grady oder „Libra“ von Don DeLillo. Geheime Intrigen sind der Stoff, aus dem wir Politthriller schmieden. Und sie sagen eine Menge über unsere Wirklichkeit aus. Dafür müssen sie nicht wahr sein. Es genügt die Vorstellung, sie seien möglich. Dann stellt sich die Gänsehaut ein. Der Thrill, dessentwegen wir lesen.