27.11.2020 – „Düsseldorf wird auf den Straßen tanzen“, überschrieb die Rheinische Post den Beitrag von Gastautor Horst Eckert über seine persönliche Einschätzung der Corona-Zukunft. Hier der komplette Text:

Graue Zeiten gibt es immer wieder. Während meiner Studentenzeit, die ich in Berlin verbrachte, drohte die Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen den Kalten Krieg in ein atomares Inferno zu verwandeln. Damals demonstrierten die Linken. In unserer Wohngemeinschaft sprühte ich an die Wand des Flurs die Parole: Alles wird gut. Wer uns besucht hat, musste zumindest für einen Moment lächeln.

Auch die Pandemie wird ein Ende haben. Noch zwei oder drei Lockdowns, dann werden wir alle geimpft sein. Düsseldorf wird erleichtert auf den Straßen tanzen. Wir werden uns umarmen. Der graue Winter wird nicht von Dauer sein.

Wir hatten uns ja bereits über Erleichterungen gefreut. So waren bis vor kurzem Gaststättenbesuche und Kulturveranstaltungen möglich, wenn auch nicht auf die gewohnte Art. Die Gäste mussten Abstand halten, Hände desinfizieren, ihre Adressen in Listen eintragen. Das Lüften ließ uns frieren. Aber was habe ich mich bei meinen Lesungen im September und Oktober über den Kontakt mit dem Publikum gefreut! Selbst als mir die Gäste zuletzt mit Mund-Nasen-Bedeckung gegenübersaßen, hat mir ihr spürbares Feedback das Herz gewärmt.

Für die Endphase der Pandemie ist diese Freude erneut gestrichen. Wenn Kultur trotz ausgeklügelter Hygienekonzepte verboten wird, halte ich das für reine Symbolpolitik. Wer Orte schließt, an denen Infektionen unwahrscheinlich waren, braucht sich nicht zu wundern, dass sich die Kurve der täglichen Neuansteckungen nicht plötzlich nach unten neigt. Das Verbot soll mich zur Kontaktarmut im Privaten erziehen. Dabei bin ich zu alt, um noch erzogen zu werden.

Weil ich kein besseres Rezept weiß, rege ich mich darüber nicht auf. Aber ich verstehe die Hysterie vieler Leute. Wer existenziell unter den Folgen des Lockdowns leidet, neigt dazu, ihn für überflüssig zu halten, weil die Krankheitsgefahr angeblich nur gering sei. Man überlegt, warum das Virenthema aufgebauscht sein könnte, und wittert eine Verschwörung. Im Unterschied zu den Achtzigerjahren sind es nun die Rechten, die Demonstrationen anmelden. Sie scheren sich nicht um die Kranken und Schwachen. Sie nennen die Demokratie eine Diktatur, weil ihnen der Unterschied egal ist. Und leider lassen sich viele Verzweifelte von ihnen einfangen.

Während andere Mitbürger sich in Panik vor dem Virus zu Hause hinter Wänden aus Klopapier verschanzen. Sie schieben die Schuld an der Verbreitung von Covid den Demonstranten zu. Sie verweigern die Diskussion über die Angemessenheit von Maßnahmen und wünschen sich eine Regierung, die noch viel härter ins Leben eingreift.

Wer will, kann also wahlweise auf das „Merkel-System“ wütend sein oder auf die „Covidioten“. Ich frage mich, ob diese neue Spaltung der Gesellschaft über die Pandemie hinaus bestehen bleiben wird. Oder wird die Wut abklingen, sobald wir geimpft auf den Straßen der Stadt tanzen und uns wieder umarmen können?

Ich fürchte, die Wut bleibt ein Thema, und „Die Stunde der Wut“ heißt mein neuer Thriller, der im kommenden März erscheinen wird. Darin geht es um eine Spaltung der Gesellschaft jenseits der Pandemie – um den Gegensatz von Arm und Reich. Der Reichtum der Milliardäre wächst auch in Zeiten des Lockdowns. Der Einfluss der Großaktionäre auf die Politik ist unverkennbar. Wenn es so weitergeht, können wir bald von einer Refeudalisierung sprechen. Wie die Erderwärmung wird uns dieses Phänomen auch nach Corona erhalten bleiben. Gern würde ich im Frühjahr auf Lesungen aus dem druckfrischen Roman mit dem Publikum darüber diskutieren. Doch noch hat niemand Lust, auch ich nicht, Veranstaltungen zu planen.

Aber wir wissen, die graue Zeit geht vorüber. Höchstens noch zwei oder drei Lockdowns. Spätestens im Herbst kommenden Jahres wird alles gut, wie es die Parole an der Wand in meiner Berliner WG versprochen hat. Selbst Skeptiker haben damals über sie gelächelt.