09.02.2021 – Zum ersten Mal gibt Horst Eckert Auskunft über seinen neuen Thriller. Die Fragen stellte Daniela Gabler von Heyne-Verlag. Hinweis an die Presse: Das Interview ist mit Hinweis auf die Bücher zum Abdruck ab dem 8. März 2021 freigegeben. Kürzungen stimmen Sie bitte mit dem Verlag ab. Als Beleg wird ein PDF erbeten.
Themenkomplex Buch:
Der Auftakt Ihrer Melia-Reihe, „Im Namen der Lüge“ fiel im März 2020 direkt mit dem ersten Höhepunkt der Corona-Krise zusammen. Dennoch war das Buch ein großer Erfolg, es wurde von einem großen positiven Medienecho begleitet. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Wie eine Achterbahnfahrt. Zwei Tage nach Erscheinen ging das Buch bereits in die dritte Auflage, am nächsten Tag kam der Lockdown und die Buchläden mussten schließen. Meine Lesereise mit vierzig Stationen allein im Frühjahr war beendet, bevor sie richtig begonnen hatte. Und trotzdem lief es fantastisch.
„Die Stunde der Wut“ klingt nach Revolte. Worum geht es in Ihrem neuen Buch?
Das Buch ist eine Reaktion auf die zunehmende Spaltung der Gesellschaft und auf den Ton, der immer härter wird. Vor diesem Hintergrund untersucht Vincent Veih den Mord an der Tochter eines Psychiaters, während seine Chefin Melia dem Verschwinden einer ehemaligen Kollegin vom Verfassungsschutz nachgeht. Darin verwickelt ist ein verbitterter Mann, ein Soziopath, der von Selbstjustiz träumt und Schritt für Schritt durchdreht.
In Ihren Büchern spielen die Medien eine wichtige Rolle – seien es Schlagzeilen oder ganze Meldungen, die sich auf die Handlung beziehen. Was bezwecken Sie damit?
Damit stelle ich das Handeln meiner Figuren in einen größeren Rahmen. Und ich lade dazu ein, über die Bedeutung der Medien nachzudenken. In „Die Stunde der Wut“ beziehe ich Social Media ein. Ein rechter Terrorist mag ein Einzeltäter sein, aber er ist online vernetzt. Das spornt ihn an.
Wird es einen dritten Teil in der Melia-Reihe geben?
Ist bereits in Arbeit.
Themenkomplex Schreiben:
Mit dem Privatdetektiv Roland Kracht entwerfen Sie eine äußerst homo- und xenophobe Nebenfigur, deren Gedanken und erniedrigende Taten den Leser erschauern lassen – wie findet man sich gedanklich in Figuren ein, deren politische Haltung nicht mit der eigenen konform gehen?
Es gibt solche Menschen im wahren Leben, und wir sind selbst nicht immer ganz frei von Vorurteilen oder Alltagsrassismus. Das ermöglicht es mir, mich in diesen widerlichen Kerl einzufühlen. Und wenn sich das beim Lesen überträgt, erschauern wir erst recht. Über das, was in manchen Kreisen als „politisch unkorrekt“ gefeiert wird.
Sie führen uns auch ins Herz des Düsseldorfer Polizeipräsidiums. Dabei schildern Sie die Zusammenarbeit der Kommissariate und Hierarchieebenen als nicht frei von Konflikten und Intrigen. Wie haben Sie dafür recherchiert?
Seit ich Thriller schreibe, also schon recht lang, stehe ich mit Polizeibeamten in Kontakt. Zudem habe ich – wenn auch als freier Mitarbeiter – lange bei einem großen Sender gearbeitet, der wie eine Behörde funktioniert. Mein Präsidium ist auch ein Abbild der Gesellschaft im Kleinen, mit unten und oben, mit Anpassern und Querdenkern, inklusive schwarzer Schafe. Meine fiktiven Kriminalisten nennen es „die Festung“. Eine Bezeichnung, die inzwischen etliche Beamte in der Realität übernommen haben.
Themenkomplex politische Themen:
Im zweiten Teil der Melia-Reihe wird der Ton noch einmal deutlich rauer. Sie zeichnen ein düsteres Bild der deutschen Gesellschaft, die Fronten zwischen Arm und Reich verhärten sich zunehmend, der Einfluss von Großaktionären auf die Politik ist unverkennbar. Wie viel Wirklichkeit steckt darin?
Eine Menge, wenn man bedenkt, dass sogar während der Pandemie das Vermögen der Milliardäre wuchs. Von den staatlichen Hilfen für Konzerne profitieren in erster Linie deren Großaktionäre, während sich Pflegekräfte und Verkäuferinnen mit Applaus zufrieden geben müssen. Die großen Wirtschafts-Oligarchen lassen über Anwaltsfirmen und Lobbyisten Gesetze mitschreiben und bauen ihre Macht immer weiter aus. Wir haben noch den Satz von Rio Reiser im Kopf: „Wer das Geld hat, hat die Macht, und wer die Macht hat, hat das Recht.“ Die sogenannte Mitte sitzt am kürzeren Hebel und wird wütend. Das ist eine natürliche Reaktion, allerdings richtet sich die Wut meist gegen die noch Schwächeren. Die Roland Krachts dieser Welt gönnen Flüchtlingen und Hartz-IV-Empfängern nicht die Butter auf dem Brot von der Tafel. Daraus wächst kriminelle Energie. Und das ist mein Stoff für einen Thriller, der uns damit konfrontiert.
Ihre Protagonistin Melia Adan ist weiblich und eine Person of Colour – aus welchen Gründen haben Sie sich für dieses Profil entschieden?
Weil ich in mehreren Facetten einen Gegenpol zu Vincent Veih schaffen wollte. Da soll es knistern und Konfliktpunkte geben. Mit Vincent allein hätte ich mich irgendwann gelangweilt. Prinzipiell kommen Figuren wie Melia zu selten in der Kriminalliteratur vor. People of Colour nur als Dealer, Nutte oder Taxifahrer – das kann es in diesem Jahrtausend wirklich nicht mehr sein.
Vincent Veih hat von seinem Vater gelernt: „Polizeiarbeit ist politisch. Du dienst dem Staat. Also denen, die regieren.“ Die Polizei hat im Staat zweifelsohne eine essentielle Funktion. Wie gefährlich sind Polizisten mit extremistischen Einstellungen für unser System?
Als Einzelfälle, die man entdeckt und aus dem Polizeidienst entfernt, wären sie kein Problem. Aber man hat ganze Dienststellen gefunden, die sich in der gemeinsamen Chatgruppe über rassistische Witze amüsieren. Und der Tod von Oury Jalloh, der 2005 in einer Zelle der Polizei in Dessau verbrannte, ist noch immer nicht aufgeklärt. Immerhin wurde das Problem inzwischen erkannt.
Themenkomplex Privat/Zur Person:
Sie schreiben über den Alltag verschiedener Kommissariate: Tötungsdelikte, Rauschgift, Vermisste, Kriminaltechnik … Wenn Sie sich etwas aussuchen könnten – wo würden Sie am liebsten arbeiten?
In der Fantasie versetze ich mich gern in diese Berufe. Aber ernsthaft kann ich mich dort schwer vorstellen. Mir würde die Freiheit meiner Autorenstube fehlen.
Zu Beginn des vergangenen Jahres hatten Sie für den ersten Teil „Im Namen der Lüge“ eine beträchtliche Anzahl an Lesungen geplant. Aufgrund der Corona-Krise mussten sie fast vollständig abgesagt werden. Wie wichtig ist Ihnen der direkte Kontakt zu den Leser*innen und was macht in Ihren Augen eine gute Lesung aus?
Im Herbst habe ich die Lesungen vor dem November-Lockdown besonders genossen. Selbst als die Maskenpflicht für das Publikum auch auf den Plätzen galt, konnte ich das Feedback spüren. Eine Lesung ist gut, wenn sie gut fürs Publikum ist. Guter Sound, passables Licht, keine Störung. Dann lege ich los, und wenn ich spüre, wie der Film in den Köpfen der Zuhörer*innen abläuft, habe auch ich meine Freude daran. Hinterher wird oft noch angeregt diskutiert.
Vor Ihrer Zeit als Schriftsteller arbeiteten Sie fünfzehn Jahre lang als Fernsehjournalist. Wie verändert der Beruf des Journalisten den Blick auf die Wirklichkeit und welche Auswirkungen hat das auf das Bücherschreiben?
Ich hatte mit jeder Sorte von Leuten zu tun. Vom Bundeskanzler bis zum Junkie hinterm Hauptbahnhof. Eine spannende Zeit, in der ich einen großen Schatz an Erfahrung sammeln konnte. Und Recherche fällt mir leicht, ich kann also aus dem Vollen schöpfen. Das spürt man hoffentlich auch in „Die Stunde der Wut“.